Mecklenburger Seenplatte im Regen

„Papa ist Schuld, der hat gesagt, dass in Mecklenburg immer die Sonne scheint.“ Katharina wischt sich den Regen aus dem Nacken, doch je mehr sie sich bewegt, desto mehr Wasser läuft nach. Große dicke Tropfen. Was hatten sich Katharina, Felix und Michael nicht alles von ihrer Kanutour durch die Mecklenburger Seenplatte versprochen: Sonne satt (Katharina), Fisch- und Seeadler (Felix), Schwimmen im See (alle), schneller als die anderen paddeln (Felix und Katharina), im Kanu eine ruhige Kugel schieben (Michael), in der Abendsonne vorm Zelt ’ne Limo (Katharina und Felix) oder ein Bierchen (Michael) trinken. Stattdessen treiben sie nun im Kanu auf dem Ellbogensee durch den Regen, und auf dem letzten Zeltplatz gab’s statt Bierchen vorm Zelt nur Regen aufs Dach.

„Da müssen wir jetzt wohl durch“, spornt Michael die Kinder an und versucht’s dann, weil das nicht so recht fruchten mag, mit Bestechung: „Am anderen Ende des Sees ist schon der nächste Zeltplatz. Da gehen wir in die Kneipe und bestellen uns Currywurst mit Fritten und Limo.“

Doch diese Rechnung hat er ohne den Wirt gemacht. Im Naturcampingplatz am Ellbogensee ist es nämlich nichts mit Currywurst oder Pommes Frites, im Naturcampingplatz am Ellbogensee ist alles bio-dynamisch. Statt Currywurst oder Frikadelle Vollkorn-Toasti und Grünkernbratling, die Limo heißt Bio-Zisch – Geschmacksrichtungen Himbeer-Cassis, Litschi, Rhabarber und Naturorange – und selbst das Mineralwasser trägt ein großes grünes Bio-Siegel, weil „abgefüllt mit natürlicher Schwerkraft“. Michael kann’s nicht glauben und guckt recht sparsam aus der Wäsche, aber Felix, der Michaels grübelnden Gesichtsausdruck bemerkt, hat sich entschieden: „Da musst du wohl jetzt durch. Wir haben doch unser Zelt nicht umsonst im Regen aufgebaut.“ Also bleiben. Und wieso auch nicht, die Cafeteria ist beheizt und wasserdicht, und im Lädchen hat Michael – gut versteckt hinter drei Kästen Bio-Zisch und mehreren Paletten Milch von glücklichen Kühen – echtes Bier entdeckt; zwar mit Bio-Siegel, aber ansonsten völlig normalem Alkoholgehalt. Und so lassen Katharina, Felix und Michael den Tag bei Vollkorn-Toastis, Bio-Zisch und Bier mit einigen Runden Mau-Mau und Elfer Raus ausklingen.

Das nächste Etappenziel liegt schon im Brandenburgischen, Fürstenberg an der Havel, und es tut sich was. Es fängt jetzt richtig kräftig an zu regnen. Hastig bauen Katharina, Felix und Michael ihr Zelt auf und entschließen sich dann, im Ort eine Pizzeria aufzusuchen – Hauptsache regengeschützt und warm – also noch schnell alle aufs Klo und dann ab in die Stadt. Aber so schnell geht das nicht. Im Sanitärtrakt fällt Katharina nämlich der große Wischmopp in die Hände. Und putzen tut Katharina für ihr Leben gern. Nicht dass man das zu Hause ihrem Kinderzimmer in irgendeiner Weise ansähe, aber auf einem Campingplatz mit einem Riesen-Wischmopp den Sanitärtrakt auszuwischen findet sie klasse. Felix ist das recht, und er verabschiedet sich vom wartenden Michael, um auf dem Zeltplatz noch schnell ein paar Kanäle zwischen den Pfützen zu ziehen.

Michael hingegen ist im Kanäle bauen nicht so gut und wartet im Regen lieber auf Katharina.

„Katharina, beeil dich, ich steh’ im Regen!“, drängelt er.

„Weiß ich“, lautet die präzise Antwort.

„Aber Regen ist doof.“

„Dann hilf mir doch.“

„Geht nicht, du bist doch in den Frauen-Waschräumen.“

„Dann dauert’s noch was. Ich bin erst halb durch. Außerdem macht Regen Spaß. Frag Felix.“

Also weiter warten und dann, weil so das Wasser besser abläuft, barfuß in Crocs nach Fürstenberg rein. Welch ein Spaziergang! Gut, die Pfützen auf dem Campingplatz waren schon klasse, aber noch lange nichts gegen die auf dem Weg zur Stadt.

„Felix, komm schnell, meine Pfütze geht mir fast bis zum Knie!“, ruft Katharina.

„Aber nur, weil deine Knie tiefer sind als meine“, kommt die prompte Antwort. Was für ein unfairer Wettkampf auch. Aber ein spaßiger, und deswegen lassen Katharina und Felix auch keine Pfütze aus.

Als die drei vom Pizzaessen zurück kommen, sind die Pfützen auf dem Zeltplatz mächtig gewachsen.

„Super!“, rufen Felix und Katharina und bauen noch ein paar Kanäle.

Hoffentlich bleibt’s im Zelt trocken, denkt sich Michael. Aber mit der Platzwahl hatten sie Glück und eher zufällig einen etwas höher liegenden Bereich getroffen, sodass ihr Zelt ein bisschen wie eine Hallig bei Land Unter auf nichtüberschwemmtem Grund über einem See aus Pfützen steht.

Abends im Zelt spielen die drei noch ein paar Runden Uno, dann schneidet Michael ein wichtiges Thema an:

„Wir müssen noch Mechthild anrufen, dass sie sich keine Sorgen macht.“

„Wieso?“, fragt Katharina.

„Na ja, wegen dem Regen und so. Mama guckt bestimmt die Wetterkarte.“

„Und wovor hat sie dabei Angst?“

„Wir könnten nass werden, oder Kleidung, Schlafsäcke und sonst alles.“

„Und dann würde Mama uns nicht wieder hier paddeln lassen?“, fragt Katharina vorsichtig, muss kurz überlegen und fährt dann fort: „Du musst ihr sagen, dass die Sonne scheint. Dann können wir hier wieder hin.“

„Aber wenn das rauskommt?“, fragt Michael.

„Wie soll das denn rauskommen? Wir sind doch so weit weg.“

„Weiß nicht, vielleicht liest sie später mal auf unserer Website nach.“

„Ach, Papa!“

Aber Michael ist sich unsicher. Mit Lügen hat er’s ja nicht so – hust, hust. „Wir drei werden das schon schaffen“, sagt er schließlich, doch heute jedenfalls möchte er lieber noch nicht mit Mechthild übers Wetter telefonieren.

Am nächsten Morgen sieht’s auf dem Zeltplatz spannend aus. Ihr Zelt hat die Regennacht, von der die Märkische Allgemeine anderntags schreiben wird, dass 100 mm Regen gefallen seien, tatsächlich wie auf einer Hallig noch gerade so schadlos überstanden. Der Pfützensee hat es nur bis zum Rand des Vorzeltes geschafft.

Die Nachbarn vom Junggesellenverein Kamp-Lintfort hingegen hatten andere Plätze gewählt, die mit dem schöneren Blick auf den See, die bestimmt nur 20 cm tiefer lagen. Aber 20 cm tiefer war nichts mehr mit Hallig, 20 cm tiefer waren sie mitten in der Pfütze drin. Und so mussten sich die Jungs aus Kamp-Lintfort in tiefer Nacht schweren Herzens zum Umzug aus den Zelten – denen mit dem schönen Blick – auf die überdachten Picknickbänke aufraffen. Von da gucken sie nun recht müde aus ihren durchtränkten Schlafsäcken Katharina, Felix und Michael beim Aufbruch in Richtung Himmelpfort und Lychen zu.

Und was da passiert, das glaubt man kaum: Es regnet nicht mehr. Noch doller: Ab Himmelpfort ist bestes Sommersonnenwetter. Zudem kreuzen immer öfter spannende Tiere den Weg: Adler, Milane, Störche, ein Kranich und am Zeltplatz im Himmelpfort sogar ein richtiger Biber.

Auf dem großen Lychensee räkelt sich Felix genüsslich im Kanu in der Sonne und zieht Bilanz: Neun Seeadler, 26 Fischadler, zwei Greifvögel, von denen er schwört, dass es Schreiadler waren, ein Kranich und 20 Störche – keine schlechte Bilanz für eine Woche Kanutour. Und ein Tag steht noch aus. Den verbringen die drei auf dem Küstrinchenbach. Dem Regen sei Dank übrigens, denn der Küstrinchenbach ist ein spritziger kleiner Bach, der kristallklares aber im Sommer leider auch viel zu wenig Wasser führt, als dass er dann im Kanu befahrbar wäre. Außer natürlich, es hat zuvor wie aus Kübeln gegossen, dann ist der Wasserstand besser, und einen solch guten Wasserstand haben sich Katharina, Felix und Michael in den letzten Tagen nun wirklich verdient.

Vom Zeltplatz am Wurlsee bei Lychen bestellt Michael ein Kanutaxi, das sie samt Kanu zur Einsetzstelle unterhalb des Großen Küstrinsees bringt. Dort beginnt die Genussfahrt durch die Kehren des Küstrinchenbachs, einsam durch den sonnendurchfluteten Wald. Gelgentliche Schwälle und umgestürzte Bäume geben der Tour immer wieder eine sportliche Note. Schließlich geht es über vier der fünf Lychener Seen, den Oberpfuhl-, Stadt-, Nesselpfuhl- und Wurlsee, zurück zum Campingplatz.

„Morgen geht’s zurück nach Rheinbach“, sagt Michael abends im Zelt. „Sollen wir jetzt Mechthild anrufen?“

„Sag’ ja nix Falsches“, warnt ihn Katharina.

So erzählt Michael von Adlern und Bibern, Pizza und Bio-Zisch, Seen, Schleusen und dem Küstrinchenbach.

„Aber sag mal“, unterbricht ihn Mechthild, „bei dieser Horrorwetterkarte … seid ihr da nicht total abgesoffen? Wie war denn das Wetter?“

Michael zögert. Schnell kneift ihn Katharina kräftig ins Bein.

„Gut … ja, ja … weißt du, hier in Meck-Pomm schien eigentlich immer nur die Sonne.“

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