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Auf Bergtour mit den Senderistas del Naranco

Man macht sich im Vorfeld eines so langen Auslandsaufenthaltes ja seine Gedanken, wie man in Spanien wohl am besten Leute trifft und Freunde findet, auf dass die Zeit dort eine kurzweilige werde. Exzessives Rumreisen, so verlockend das scheinen mag, kann es jedenfalls nicht sein, da wird man ja nirgends heimisch.

Andere Optionen erscheinen vielversprechender: Michael arbeitet an der TU Gijón und darf da das Praktikum in Konstruktionstechnik halten. Das ist schon mal eine prima Sache, denn zum einen unterrichtet Michael ja tatsächlich sehr gerne, und zum anderen interessiert sich die liebe Kollegenschaft dann vielleicht für den neuen Prof aus Alemania. Wer weiß, was sich daraus alles machen lässt. Außerdem belegen Mechthild und Michael in Oviedo einen Sprachkurs. Die Spanischkenntnisse zu verbessern ist wichtig, und bestimmt trifft man unter den anderen Sprachschülern nette Leute.

Ganz besonders aber haben sich Mechthild und Michael vorgenommen, im örtlichen Wanderverein mitzumischen. Wandern – bzw. senderismo, wie man auf Spanisch sagt – ist eine feine Sache: sportlich, kommunikativ und in Asturien ganzjährig möglich. Außerdem sind Wanderer nette Leute, und Wandervereine gibt’s auch praktisch überall, in Rheinbach zum Beispiel den Eifel- und Heimatverein. Es zeigt sich, dass der Wanderverein von Oviedo nicht Eifel- und Heimatverein heißt, sondern Grupo de Montaña Naranco, und der ist ein Bergsportverein, weshalb Wanderungen mit den Senderistas del Naranco immer auf einen Gipfel führen, von denen es im Kantabrischen Gebirge ziemlich viele sehr sehr schöne gibt. Da sind Mechthild und Michael also regelmäßig mit von der Partie.

Jeden zweiten Sonntag geht’s in aller Frühe an der Bushaltestelle los, denn angefahren wird im gecharterten Bus. Drinnen im Bus große Stimmung, lautes Geschnattere, viel Vorfreude auf die Tour … so ein bisschen wie eine Klassenfahrt für Ältere. Schade, dass Mechthild und Michael von all dem nicht sooo viel verstehen – geschnattert wird ja auf Spanisch – aber mittlerweile ein bisschen schon, und überhaupt findet sich immer wer, der einem das wichtigste irgendwie erklärt, oft mit viel Gestik, manchmal auch auf Englisch.

Auch wenn Mechthild und Michael noch nicht alle Gepflogenheiten der Senderistas durchschauen, zwei wichtigen Grundsätzen scheinen die Wanderungen streng zu folgen: Regel Nr. 1 ist, eine Senderistas-Wanderung muss sportlich sein, gerne über 1000 Höhenmeter rauf und runtergehen und dabei auf ein bis zwei Gipfel führen. Regel Nr. 2 ist, die Wanderung muss Spaß machen. Deswegen wird auf der Hinreise auch immer ein Frühstückspausenstopp eingelegt. Die Senderistas del Naranco kennen nämlich nicht nur die schönsten Trampelpfade durchs Kantabrische Gebirge, sondern auch all die schönen Bars auf dem Weg dorthin.

Bei derart sympathischen Regeln beginnt eine Wanderung immer gut gelaunt und gut gestärkt, speziell die Wanderung Ende Oktober auf den Peña Salón allerdings auch mit sehr viel Regen. Macht aber nichts, redet man sich das dann schön, man ist ja nicht aus Zucker, nass werden und eindrecken darf an ja, weil man für die Rückfahrt Ersatzklamotten mit hat, und überhaupt, wollen wir doch mal sehen, wie gut einen die vielen Höhenmeter sowie dieses Gefühl, allen Widrigkeiten des Wetters zu trotzen, warm halten. So stapfen also rund 20 Senderistas tapfer los, über Steine, durch Matsch und im Regen immer kräftig bergauf zum Peña Salón. Dort das obligatorische Gipfelfoto – ohne geht es nicht – und schnell wieder bergab, ehe man zu dolle friert. Dabei sind sowohl die Wanderwege als auch die Ausblicke sehr viel wilder, als Mechthild und Michael das in der heimischen Eifel kennen. Die Ausblicke sind wilder, weil die Berge in Asturien nun mal höher und wilder als in der Eifel sind, und die Wanderwege sind es, weil sie eben nicht von einem Eifel- und Heimatverein gepflegt werden. Im Kantabrischen Gebirge kümmert sich darum nämlich das liebe Vieh. Kühe, Pferde und Ziegen laufen im Kantabrischen Gebirge gerne frei herum und treten dabei den ein oder anderen Pfad aus, auf dem man ganz gut ans Ziel kommen kann.

Auf diesen engen Trampelpfaden geht’s also auf den Peña Salón hoch und wieder runter. Ziemlich urig das Ganze, aber irgendwie auch igitt, weil sehr matschig, und durch diesen lästigen Stachelginster, der blöd durch die Hosenbeine sticht, auch sehr pieksig. Immerhin merkt man den Stachelginster im Regen weniger. Mitte des Rückwegs noch eine Brotzeitpause unter dem Vordach der Kapelle von Casielles, und dann wartet nach sechs Stunden Wanderung auch schon der Bus auf 20 durchnässte Senderistas. Der Bus parkt – Überraschung, Überraschung – gleich neben der Dorfkneipe, in der die Wanderung, der Regel 2 sei Dank, schließlich gemütlich ausklingt.

Bleibt noch die Frage, ob die vielen Höhenmeter und dieses angebliche Hochgefühl, es den Widrigkeiten des Wetters gezeigt zu haben, denn nun tatsächlich einigermaßen warm halten. Die ehrliche Antwort ist nein. Höhenmeter, die man wieder ins Tal absteigt, wärmen nicht die Bohne, und dieses angebliche Hochgefühl von wegen durchhalten und so macht das Bibbern im Herbstregen auch nicht angenehmer. Doch all das ändert sich schlagartig mit dem Betreten der Dorfkneipe. In der ist es nämlich nett und warm, und bei wahlweise warmem Kaffee oder frischem Bier verklärt sich die Bergtour ratzfatz in das, als was sie ab jetzt in Erinnerung bleibt: als kalt, nass und anstrengend, aber vor allem sehr sehr schön.

In 14 Tagen werden die Senderistas wieder losziehen. Mechthild und Michael sind wieder mit dabei.

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