Einleben in Montreal

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“Boah, Montreal ist aber groß!” Katharina staunt nicht schlecht, als sie vom Mont Royal Richtung Innenstadt guckt. Lauter Hochhäuser, und zwar richtig, richtig große, das kennt sie so aus Rheinbach nicht. Überhaupt ist in Montreal vieles anders als zu Hause: Die Häuser größer, der Verkehr rasanter - wobei der Quebecer trotzdem gerne bei rot über die Straße geht - und alles sehr französisch.

Mittendrin, auf halbem Weg zwischen Innenstadt und Olympiastadion, liegt das Stadtviertel Plateau - Mont Royal. Dort, in der Avenue de Lorimier, wohnen diese Heinzelmanns also für knapp acht Monate in einem der das Plateau prägenden Reihenhäuser aus der Zeit der Jahrhundertwende (der von 1900). Über eine Außentreppe gelangt man zur Haustür im ersten Stock, dann geht’s innen auf einer weiteren Treppe in den zweiten Stock zur Wohnung. Zwischen zwei Balkonen, dem von Felix’ Zimmer zur Straße und dem von der Küche zum Hinterhof raus, lässt es sich da ein klein wenig eng, aber ausgesprochen stilvoll und gemütlich wohnen. Zumal gleich um die Ecke, in der Avenue du Mont Royal, das Leben pulsiert. Lauter Cafés, Kneipen und kleine Geschäfte, von der Bäckerei bis zum kleinen Baumarkt, reihen sich aneinander. Irgendwie wirkt das ganze Leben hier sehr studentisch.

Als ob das noch nicht genug wäre, steht im Parc Compagnons-de-St-Laurent eines von mehreren öffentlichen Klavieren, die der Stadtbezirk alljährlich in der schneefreien Jahreszeit aufstellt. Michael setzt sich auch mal dran - es kennt ihn hier ja keiner - und spielt seine drei Lieblingsstücke: Lady Madonna, die Muppets und den Chattanooga Choo Choo.

Alles prima also, jetzt muss man mit all dem Neuen und Spannenden nur noch selbstständig klar kommen. Michael hat sich da den leichtesten Part rausgesucht, denn seine Uni, die Concordia University, ist englischsprachig.

Die Schulen der Kinder aber sind französisch. Gut, dass es in Montreal dafür das passende Einstiegsprogramm gibt. Gleich zu Anfang gehen die Kinder tagsüber für zwei Wochen in ein camp d’été, eine Sommerferienfreizeit. In der ersten Woche besuchen Felix und Katharina die Spiel- und Sportfreizeit des Stadtbezirks, während Franziska ins Jugendsportcamp der Université de Montréal geht; in der zweiten Woche nehmen Felix und Katharina dann an einem Fußballcamp und Franziska an einem Klettercamp teil. Wichtige Wörter wie pénalty (Elfmeter), hors-jeu (Abseits), nœud en huit (Achterknoten) und mousqueton (Karabinerhaken) erweitern seitdem den französischen Wortschatz der Kinder. Mechthild und Michael finden das ganz prima, vor allem weil ihnen die Sommercamps die nötige Luft für jede Menge Besorgungen verschaffen: Auto und Fahrräder kaufen, beim Schulamt, der staatliche Krankenversicherung oder Ikea in der Schlange stehen und bei Versicherungen anrufen geht alles einfacher, wenn die Kinder gut beschäftigt sind.

Und sonst? Der Sommer ist ja keine schlechte Zeit für Ausflüge. Die Fahrt nach Halifax, um viele alte Freunde, vor allem natürlich Nancy zu besuchen, steht ganz oben auf der Liste. Mit selbstgebackenem Quiche lädt Nancy im Point-Pleasant Park zum gepflegten Abendessen am Atlantik. Dann beginnt eine Woche voller Besuche und Ausflüge: Innenstadt, Hafen, Farmers’ Market, Laurie Park und Lunenburg wollen wieder neu erkundet werden. Allerdings nicht von allen fünfen, denn Katharina verbringt die zweite Wochenhälfte lieber mit ihrer Freundin Erica und Franziska hat mit vielen, vielen Verabredungen gleich zu Anfang sichergestellt, dass sie eine selbstständige Woche in Halifax verbringen wird.

Auf dem Rückweg nach Montreal sorgt ein ausgedehnter Abstecher auf die Gaspésie-Halbinsel dafür, dass endlich auch Quebecer Ziele auf dem Programm stehen. Im Forillon-Nationalpark - dort, wo sich laut Reiseführer die Appalachen ins Meer des St.-Lorenz Golfes stürzen - bestaunen Felix und Michael, wie Scharen von Basstölpeln im Sturzflug nach Fischen jagen.

Im Parc National de la Jacques-Cartier werden dann zwei Übernachtungen auf einem Wildniszeltplatz zum intensiven Naturerlebnis. Kein fließend Wasser, aber dafür Lagerfeuer, Zähneputzen am Bach und Baden - brrrrrr - im Fluss. Dieser Fluss, der Jacques-Cartier-Fluss, ist auch die Hauptattraktion des Parks, denn er fließt durch ein gut 500 Meter tiefes, steiles und trotzdem bewaldetes Tal durch die Berge der Laurentides. Ein spektakulärer Anblick, und Mechthild und Michael nehmen sich fest vor, den Park unbedingt noch einmal zu besuchen.

Nicht minder spannende Ziele liegen aber gleich in Montreal, wie St-Lorenz Strom, Altstadt, Olympiapark, Museen, die Straßenmusiker in der Innenstadt oder der Mont Royal. Mit Metro, per Rad oder zu Fuß lässt sich Montreal erkunden. Katharina fährt am liebsten Metro, denn da sind nicht nur die Züge spannend, sondern auch die Leute. Mit Mechthild und Michael spielt sie am liebsten Tattoo-spotting. Wer zuerst einen besonders doll Tätowierten sieht, zwinkert den beiden anderen schnell zu - am besten schön unauffällig, man weiß ja nie - und hat gewonnen.

Franziska und Michael laufen ja gerne zusammen, sie sind ja in etwa gleich schnell - “Ha, ha, von wegen, das haben wir ja beim Obstmeilenlauf gesehen!”, wirft Franziska ein - ... aber wie dem auch sei, sie laufen trotzdem gerne zusammen und verbinden dabei Training und Sightseeing. Ihre Lieblingsstrecke geht von zu Hause runter zum Sankt-Lorenz-Strom und auf die Jacques-Cartier-Brücke, die mit einer Länge von über drei Kilometern den Sankt-Lorenz überquert, einmal am anderen Ufer anschlagen und wieder zurück. Der Blick von der Brücke ist große klasse: vorne der gewaltige Fluss, dann der Hafen und schließlich die Skyline der City. Und wenn’s nicht über den Fluss gehen soll, laufen Franziska und Michael gerne auf den Mont Royal, da kann man auf geschotterten Wegen oder Trampelpfaden durch den Wald laufen, und es geht anständig bergauf und bergab.

Überhaupt der Mont Royal. Dessen Besteigung lohnt sich abends ganz besonders, um die funkelnden Lichter der Innenstadt zu bestaunen. Vom Parkeingang an der Rue Peel führt der direkte Weg über eine Reihe von Treppen zum Aussichtspunkt.

“Prima”, sagt Felix, dem gemeinsame Waldläufe mit Michael längst zu gemächlich sind, “das mache ich wie ein Känguru”, und hüpft die langen Treppen mit Schlusssprüngen bis ganz nach oben. Dort angekommen ist auch er erst mal außer Atem. Aber nicht lange. “Ich bin oben, was kann ich machen?”, fragt er kurz drauf, muss seine Frage aber selbst antworten, weil alle anderen lieber den Ausblick genießen als sich für ihn eine Beschäftigung ausdenken. “Ich hab’s, von hier oben zähle ich jetzt am besten die Lichter.”

Ende August beginnt die Schule. “Außer pénalty und hors-jeu kann ich ja noch nicht so viel französisch”; meint Katharina, “aber für den Anfang wird’s reichen.”

Klingt ganz danach, dass der Alltag weiter spannend bleibt. Wir werden euch auf dem Laufenden halten.

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