Katharina baut sich ein Snowboard

Aller guten Dinge sind drei, vor allem Winterurlaub mit Lena. Zwei Mal hat Lenas Familie Katharina schon in den Winterurlaub mitgenommen, da ging’s jeweils ans Stilfser Joch in Südtirol, nun soll’s ins Samnauntal in Graubünden gehen.

„Das wird soooo toll werden“, schwärmt Katharina verzaubert beim Abendessen. „Ich leihe mir wieder ein Snowboard, den Rest der Ausrüstung habe ich ja schon, und dann geht’s ab die Post die Piste runter.“ Der Rest der Familie hört geduldig zu und denkt sich nichts weiter. Auch bei Michael fällt der Groschen erst viel später. Ein Snowboard leihen ist ja gut und schön, aber ein Snowboard selbst zu bauen viel, viel besser. Mit seinen Kindern sollte er überhaupt viel öfter zusammen Sachen bauen. Bastelabende in der Kellerwerkstatt sind so harmonisch und inspirierend wie kaum etwas Anderes. Vielleicht sogar noch in bisschen harmonischer und inspirierender als ihre andere Lieblingsbeschäftigung, eine Fahrt zum Gladbach-Spiel, was man übrigens auch viel öfter machen sollte, aber das ist eine andere Geschichte.

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Ihr eigenes Snowboard tischlern? Das muss sich Katharina nicht zweimal fragen lassen. Klar macht sie das. „Wann soll’s losgehen? Wie genau macht man das?“, möchte sie wissen. „Oooch“, sagt Michael, „müssen wir mal rauskriegen“, denn so genau weiß er das auch nicht. Außer einem kurzen Check im Internet, wo er das eine oder andere Tutorial zum Selbstbau gefunden, aber nicht richtig angesehen hat, hat er sich noch nicht darum gekümmert. Aber es geht tatsächlich. Es gibt Geschäfte, die alles verkaufen, was man zum professionellen Selbstbau braucht, und auch die ein oder andere Anleitung, wie man das macht.

Im Prinzip ist ein Snowboard gar nicht so kompliziert aufgebaut. Der Kern des Boards ist aus Holz und je nach Fahrergewicht bis zu 8 mm stark, verjüngt sich aber auf 2 mm an den beiden Spitzen, wo die Biegungen nach oben sind. Oben und unten wird der Holzkern beklebt. An seiner Oberseite mit einer Schicht Glasfasergewebe für die Stabilität, und an seiner Unterseite mit ebenfalls einer Schicht Glasfasergewebe sowie dem Laufbelag für die Fahreigenschaften. Um die Ränder des Laufbelags wird vorher eine spezielle Stahlkante geklebt, die das Board vor Abrieb schützt und das Lenkverhalten verbessert. Ganz wichtig: Einfach so dürfen Glasfaserschichten und Laufbelag nicht an den Holzkern geklebt werden; der Kern muss schon beim Bekleben so gebogen sein wie das spätere Board, also mit gut 50 mm nach oben gebogenen Enden und einem etwas angehobenen Mittelteil, also mit Camber, wie der Profi sagt. Denn nur wenn man alles gebogen miteinander verleimt, behält das Board dauerhaft seine Form. Hierfür zimmern sich Katharina und Michael eine Art Fundament, auf dem sie dem Kern die gewünschten Biegungen vorgeben. Verklebt werden Holzkern, Glasfasergewebe und Laufbelag mit Epoxidharz, einem 2-Komponenten-Kleber aus Harz und Härter. Der wird beim Aushärten transparent und das Snowboard sieht so aus, als bestehe es ganz aus Holz.

Dann also los. Zuerst machen sich Katharina und Michael über Snowboard-Geometrien schlau und tauchen in eine Welt aus Anglizismen ein. Soll’s eine freeride, freestyle oder all-mountain Geometrie werden? Mit Camber oder Rocker? Als true oder directional twin, oder doch lieber tapered? Wie lang sollen effective edge length, sidecut radius, setback und stance sein? Und wie hoch sollen nose und tail aufgebogen werden? Das und noch so manches andere ist alles wichtig und will erstens verstanden und zweitens passgenau ausgewählt werden. Nach viel diskutieren entscheiden sie sich schließlich für eine all-mountain Geometrie mit 1,54 m Länge, 8 m Kantenradius, 6,0 mm Kerndicke, 15 mm Camber und einer Reihe anderer wohlüberlegter Abmessungen. „Ja, das isses“, sagt Katharina schließlich, „mein maßgeschneidertes Gewinnerboard.“

Die Baumaterialien kauft Michael übers Internet: Stahlkanten, ABS-Seitenwangen, Laufbelag, Gewindeeinsätze, Glasfasergewebe – aber nicht irgendeins, sondern ein torsionssteifes mit längs, quer und diagonal verlaufenden Fäden – Epoxidharz und Härter. Den Holzkern könnten sie auch kaufen, wollen sie aber selber bauen, und zwar aus Resthölzern verschiedener alter Projekte. Welche Schätze man dafür in Keller und Garage nicht alle findet: Buche vom Küchentisch, Lärchendielen vom Fußboden, Fichte vom Regalbau, Ahorn vom Schneidebrett, Bangkirai von der Terrasse und Western Red Cedar vom Kanubau. Daraus, entscheidet Katharina, verleimen sie den Holzkern, weil das Snowboard dann ein richtig edles vielfarbiges Holzdesign bekommt. Michael ist ganz ihrer Meinung, wenn auch aus anderen Gründen. Er mag es – alte Schule – immer, wenn keine Reste übrig bleiben, sei‘s beim Mittagessen oder eben beim Schreinern.

Aus all den schönen Brettern werden 1 cm starke Leisten gesägt. Dabei, aber auch nur dabei, lässt Katharina Michael den Vortritt. Denn der Zuschnitt geschieht an der Tischkreissäge, und Katharina erinnert sich nur zu gut an den Schreiner ihres Vertrauens, bei dem sie nach einem Platz für das Betriebspraktikum nachgefragt (und auch bekommen) hatte, der hatte an seiner linken Hand nur noch vier ganze Finger – Kreissäge. An die Kreissäge darf also Michael, dann übernimmt Katharina. Mit anderen Werkzeugen gibt’s ja noch genug zu tun. Die Schraubzwingen braucht sie zum Verleimen der Holzleisten. Dann kommen Hobel, Oberfräse auf dem Fräserschlitten und Schwingschleifer zum Einsatz, um den Kern auf die gewünschte Stärke runterzuarbeiten. Mit Bohrschrauber und Forstnerbohrer werden die Bohrungen für die Gewindeeinsätze zu den Bindungen gesetzt. Die Stichsäge braucht Katharina für eine Sperrholzform des Boards, entlang der sie zunächst die Lauffläche ausschneidet und um die sie dann die Stahlkante biegt. Dann wird mit Epoxidharz geklebt. Also für Ober- und Unterseite jeweils einen halben Liter Harz und Härter anrühren und dann die beiden Lagen Glasfasergewebe und die Lauffläche kleben. Nach dem Aushärten des Harzes wieder Stichsäge, Oberfräse und Schwingschleifer, denn die über die Lauffläche hinausstehenden Ränder wollen sauber entfernt werden. Schließlich noch die Stahlkanten schärfen und die Lauffläche wachsen – das Snowboard ist fertig. In der Zusammenfassung mag sich das recht kompliziert anhören, aber unten in der Werkstatt und mit dem großen Ziel vor Augen kriegt man das hin.

Toll aussehen tut’s ja, aber ob’s sich auch toll fährt? Das würde Katharina gerne vor dem Urlaub wissen, also ab in die Skihalle nach Neuss. Da fährt sie ihr Board zusammen mit Felix und seinem Kumpel Raik, die beide für jede Art von Sport zu haben sind, einen Nachmittag lang was das Zeug hält. „Läuft richtig rasant“, denkt sich Katharina, wie sie so die Piste hinunter jagt, „cooles Board.“ Und „Läuft richtig gut bei der“, denkt sich Michael, wie er die snowboardenden Kinder so fotografiert, „Coole Tochter.“

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